Waltraud Barton ist "Frau des Jahres 2013".
Schon bei der Ankunft wird klar, Waltraud Barton ist eine besondere Frau. Auf einnehmend quirlige Art begrüßt sie die eintrudelnden Gäste höchst persönlich mit Handschlag und wünscht einen angenehmen Abend. Man ist gespannt, mehr über diese lebendige Frau und ihre bedeutenden Verdienste zu erfahren. Doch zuvor ein paar Hintergründe.
Susanne Höhne vom Theater Hamakom eröffnet die Preisverleihung mit ein wenig Hintergrundinformation. "Das Theater Hamakom war bis 1938 eine von mehreren jüdischen Bühnen, die es damals auf der Praterstraße gab. Die Stolpersteine vor dem Haus erinnern heute an die Schauspieler, die 1938 fliehen mussten, als das Theater arisiert wurde." Seit vier Jahren wird das Hamakom (hebr. "der Ort") dank öffentlicher Förderungen nun wieder bespielt, freut sich Höhne. Den Gästen wird klar, es ist kein Zufall, dass die Ehrung der Frau des Jahres heute an diesem Ort stattfindet.
Uschi Lichtenegger, Klubobfrau der Grünen, berichtet, dass der mit 1.100 Euro dotierte Preis für in der Gesellschaft herausragende Frauenleistungen erstmals 2002 vergeben wurde und heuer das 12. Mal verliehen wird. Ins Leben gerufen haben ihn die Grünen Bezirksrätinnen Heidi Cammerlander und Gerda Medek. Uschi Lichtenegger schließt mit einem Liedtext der ersten Frau des Jahres, Marianne Schoiswohl.
Mehr Achtung für beachtliche Frauen.
Grünen Bezirksrätin, Ulrike Böhmdorfer, führt als Moderatorin wortgewandt durch den Abend. Von ihr erfährt das Publikum, dass sich Waltraud Barton in eine klangvolle Namensgalerie verdienter Frauen einreiht, wie Ute Bock, Irma Trksak, Elisabeth Ben David Hindler oder Gül Lüle, die unter anderen den Preis in den vergangenen Jahren erhalten haben. "Sie alle sind durch ihr Helfen, Schaffen und Tun auf besondere Weise mit dem 2. Bezirk verbunden, und ihre Leistungen verdienen Anerkennung und Aufmerksamkeit", sagt Böhmdorfer und gibt nun der Kunst das Wort.

GBW
Johanna von der Deken hat zur musikalischen Untermalung zwei spezielle Lieder für die Preisträgerin Waltraud Barton vorbereitet: Mit "Pick up yourself" und "Ich weiß nicht zu wem ich gehöre (ich glaub ich gehöre nur mir ganz allein)" begeistern die Sopranistin und ihre Klavierbegleitung, Eva C. Banholzer, den vollen Theatersaal. Nach der ausgelassenen Gesangseinlage wird es wieder ernsthaft und das Publikum erfährt, warum diesmal Waltraud Barton den Preis erhält.
IM-MER - die Toten von Maly Trostinec.
2010 hat Waltraud Barton im Gedenken und auf der Suche nach den Toten von Maly Trostinec in Weißrussland den Verein IM-MER "Initiative Malvine-Maly Trostinec Erinnern" gegründet. "13.500 Opfer der Shoa, überwiegend Frauen aus Wien, sind im Konzentrationslager Maly Trostinec ermordet worden. Darunter auch Malvine Barton, die erste Frau von Waltraud Bartons Großvater", erklärt Böhmdorfer. Bis vor wenigen Jahren gab es weder Namensschilder noch Grabsteine noch sonst irgendeine Erinnerung an diese brutal ermordeten Menschen, nach denen seit ihrer Deportation offenbar niemand mehr gefragt hat. Nur dem persönlichen Engagement von Waltraud Barton, die sich aus eigenem Antrieb auf die Suche nach Malvine Barton und den anderen im Konzentrationslager Maly-Trostinec ermordeten Menschen gemacht hat, ist es zu verdanken, dass inzwischen eine Konferenz organisiert, ein Buch geschrieben und Gedenkreisen an diesen Ort unternommen wurden.
Waltraud, die Suchende.
Als Laudatorin Doris Appel, ORF, Abteilungsleiterin Religion und Religionen, das Podium betritt, lauscht das Publikum feierlich gespannt. Appel berichtet von ihrer jahrelangen, wertvollen Freundschaft mit Waltraud Barton. Die Gäste erfahren dabei viel Persönliches aus dem Leben der Preisträgerin. Als älteste Tochter eines evangelischen Theologieprofessors kam sie von Westfalen nach Wien, ging hier zur Schule. Sie hat noch sechs Geschwister. Anfangs fühlt sie sich nicht immer zuhause in der neuen Heimat.
"Waltraud Barton", so Doris Appel, "dürfte die Einzige sein, die innerhalb eines Jahres den Wiener Opernball eröffnet und gegen ihn demonstriert hat." Bereits damals war klar: Sie lässt sich nicht vereinnahmen, folgt nur ihrem Gewissen, eine bürgerliche Existenz ist nichts für sie.
Als alleinerziehende Mutter zweier Söhne hat die gelernte Schauspielerin in einer Apotheke, in Hotels, als Kulturmanagerin, aber auch als Coach und Mediatorin gearbeitet. Sie hat viel gesucht, viel probiert und dabei viel Lebenserfahrung gesammelt. Sie ist weitgereist und weltoffen. Die sehr persönliche Schilderung Waltraud Bartons beschließt Doris Appel mit den Worten: "So eine Freundin kann sich nur jeder wünschen."
Blumen, Scheck und Emotionen.
Sichtlich gerührt von der Laudatio der Freundin und vom Beifall des Publikums wird es noch einmal emotional, als nun Waltraud Barton das Podium betritt und den Scheck über 1.100 Euro von Uschi Lichtenegger überreicht bekommt. Die Leopoldine, gestaltet von Gudrun Gross, wird von Sabine Oberneder übergeben. Begleitet von Blitzlichtern, Filmkameras und tosendem Applaus. Auch Grünen-Europaparlamentarierin Ulrike Lunacek schickte eine Grußbotschaft und dankt auf diesem Wege der Geehrten.

GBW
In ihrer Dankesrede hält Waltraud Barton noch einmal fest: "1938 waren 10 Prozent der Wiener Bevölkerung Juden. Jede*r vierte Deportierte kam nach Maly Trostinec und keiner fragte, wo sind unsere Nachbarn hin?" 13.500 Menschen sind im Vernichtungslager Maly Trostinec ermordet worden. Je nach Quelle haben nur 11, 13, oder 17 Menschen überlebt. "Damit waren die Überlebenschancen in Maly Trostinec noch schlechter als in Auschwitz und Theresienstadt", sagt Barton. Weil die Nazis Bürokraten waren, sind die Namen und Geburtsdaten der Ermordeten bekannt.
Auf ihrer ersten Reise nach Maly Trostinec hat Barton an diesem vergessenen Ort mit Freunden und Helfern gelbe Namensschilder auf Bäume gehängt. "Ich möchte, dass man die Toten ehrt", sagt sie und bedankt sich bei den Mitbegründern und Vorständen ihres Vereins IM-MER für deren unermüdliche Arbeit und Unterstützung. "Es gibt dort immer noch Namenlose", sagt Barton. "Die Stadt Wien schuldet den Toten eine Erinnerung, einen Grabstein." Inzwischen hat Waltraud Barton von Bundespräsident Heinz Fischer den Auftrag bekommen, in Maly Trostinec ein Memorial zu errichten.
Seit mehreren Jahren versucht die Preisträgerin nun das Österreichische Rechtssystem zu verstehen und studiert Jus. Richtschnur und Maßstab ist für sie die Erkenntnis: "Nicht alles was recht ist, ist auch richtig und gerecht. Wir müssen jederzeit unser Tun und Handeln hinterfragen", damit solche Verbrechen nie wieder möglich werden.
Die Autorin Karina Böhm hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des Redaktionsteams der Grünen Bildungswerkstatt Wien.
Links
Verein IM-MER
Die nächste Gedenkreise 2013 nach Weißrussland findet von Sonntag, 26. Mai bis Donnerstag, 30. Mai 2013 statt.
Anmeldungsinfos
"Ermordet in Maly Trostinec - die österreichischen Opfer der Shoa in Weißrussland", herausgegeben von Waltraud Barton, zu bestellen unter: waltraud.bartonIM-MER.at oder im Buchhandel.
Theater Nestroyhof-Hamakom
Grünen Leopoldstadt
Der * soll daran erinnern, dass es neben dem weiblichen und männlichen Geschlecht noch viele andere Formen gibt, Geschlechtsidentität zu leben und zu empfinden.