Staatlich anerkannte Religionen.

GBW
Religion als radikale Kultur.
Zinggl stellt zu Beginn fest, Religion sei ein polarisierendes Thema. Damit werden Dinge angesprochen, die weit über das Leben hinaus reichen. „Und wer riskiert schon die Ewigkeit?“, fragt er schmunzelnd. Das bringe oft eine gewisse Radikalität ins Spiel, sodass mitunter keine Meinung außer der eigenen Wahrheit akzeptiert werde. Ein Problem der Kulturpolitik ist daher: Was tun, wenn kontroverse Meinungen aufeinander treffen, die keinen Kompromiss zulassen?
Erste Schritte zu mehr Toleranz.
Seit der Aufklärung zeige sich zunehmend mehr Toleranz für verschiedene religiöse Ansichten. Dies führte damals zur Überlegung, ob man mit dem Grundsatz der Toleranz eine Art Überbau finden könnte. Der erste Gehversuch in die Richtung waren die Toleranzpatente, die Joseph II. 1781 einführte. Sie garantierten die freie Religionsausübung für Juden, Orthodoxe, Protestanten und die Katholische Kirche. Darauf begründete sich die Aufgabe des Staates den Religionsfrieden zu sichern und darauf zu achten, dass staatliches Gesetz vor dem göttlichen Gesetz geachtet werde, so Zinggl.
Sukzessive Entwicklungen.
1874 setzte sich die altkatholische Kirche für ihre, von den Katholiken unabhängige, Anerkennung ein. Laut Zinggl sei es auch der damals Vatikan-kritischen Stimmung in Österreich zu verdanken, dass ein Anerkennungsgesetz erlassen wurde. Dieses ermöglichte die Anerkennung der Altkatholiken. Eine solche Bewertung gibt es somit faktisch seit 1874, jedoch wurde sie in anderen Fällen nicht vollzogen.
1988 bewegte eine Klage der Zeugen Jehovas den Verfassungsgerichtshof dazu, die Durchsetzung der Anerkennung einzufordern und brachte den Prozess erneut ins Rollen. Heute muss eine Religion in Österreich eine Bekenntnisgemeinschaft mit mindestens 300 Mitgliedern sein und fünf Jahre als solche existiert haben, um die Anerkennung als Religionsgemeinschaft beantragen zu können. Um als solche wiederum anerkannt zu werden, muss die Anzahl der Mitglieder 2/1000 der österreichischen Bevölkerung umfassen. „Eine umstrittene Regelung“, sagt Zinggl. Dieser sei es auch zu verdanken, dass die Hindus in Österreich nicht anerkannt sind. Beispielsweise müssten ferner eine positive Grundeinstellung zum Staat erkennbar sein, sowie Gelder nur für religiöse oder soziale Zwecke verwendet werden.
Vorteile staatlich anerkannter Religionen.
Die Regelungen ermöglichen eine gewisse staatliche Kontrollfunktion. Im Gegenzug gebe es diverse Vorteile für staatlich anerkannte Religionen, von denen es derzeit 16 in Österreich gibt. Hier seien beispielsweise Steuervorteile zu nennen und auch andere „Ungerechtigkeiten“, wie die Finanzierung von privat-kirchlichen Schulen, so Zinggl. Er spricht sich für ein einheitliches Recht für alle, die den Anspruch erheben eine Religionsgemeinschaft zu sein, aus.
Missglückte Emanzipation.
Grigat bezieht sich im Anschluss auf ein allgemeines Verhältnis von Staat, Emanzipation und Religion. Er konstatiert, dass die Diskussion über das Thema „staatlich anerkannte Religionen“ für ihn historisch betrachtet Ausdruck eines doppelten Scheiterns sei. Zum einen ein Scheitern der bürgerlichen Emanzipation. „Das Versprechen der Aufklärung, der Französischen Revolution war die Emanzipation der modernen, aufgeklärten Gesellschaft von den Ideen der Religion“, so Grigat.
Durch die Aufklärung entwickelte sich ein neues Verhältnis zur Religion, und große religionskritische Schriften wie zum Beispiel Feuerbach und Kant seien entstanden. Marx erklärte bereits 1844, die Kritik der Religion sei beendet. Die Menschen müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, nur dann könne es Befreiung geben. Letztendlich gehe es nun darum den Staat und die neue bürgerliche Gesellschaft zu kritisieren, so Grigat.
Ein Rückschritt?
„Wenn das gelungen wäre, dann müssten wir heute gar nicht mehr über dieses Thema reden“, meint der Politikwissenschaftler. Aber die bürgerliche Emanzipation sei bei weitem nicht beendet, da es Sonderrechte für anerkannte religiöse Gemeinschaften gibt oder auch einen Blasphemieparagraphen. „Worüber soll man sich denn sonst lustig machen, wenn nicht über einen Götterglauben?“, fragt Grigat provokativ. Wer heute die Selbstbestimmung der Menschen in Frage stellt, der begebe sich intellektuell auf das philosophische Niveau längst vergangener Zeiten. Zum anderen sieht Grigat das Scheitern der allgemeinen Emanzipation. „Die Emanzipationsvorstellung der Aufklärung, nicht nur bei Marx, hatte nicht nur eine religionskritische, sondern auch eine staatskritische Position“, so Grigat. „Daher also ein doppeltes Scheitern.“ Konkret schlägt er eine Rückkehr zur grundsätzlichen Religionskritik vor und auf realpolitischer Ebene ein Vorgehen gegen Sonderrechte von Religionsgemeinschaften. Es sei problematisch, wenn beispielsweise historisch bedingte religiöse Praktiken nicht kritisiert werden dürfen, denen Ungerechtigkeit und Unterdrückungsmechanismen inhärent sind.
Differenzierte Religionskritik.
Grigat weist darauf hin, dass religiöse Vorstellungen wie das Verhältnis zum Jenseits oder der Wunsch nach Ausbreitung nicht pauschalisiert werden sollten. „Es gibt ein sehr unterschiedliches Verhältnis der Religionen zu Aufklärung und Kritik“, betont er. So werde man als Jude oder Jüdin beispielweise dazu erzogen alles der Kritik zu unterziehen und selbst Gott zu hinterfragen. Er plädiert daher für eine differenzierte Religionskritik. Wo Zinggl ein einheitliches Anerkennungsrecht für alle Religionsgemeinschaften andenkt, stellt Grigat das Verhältnis von Staat und Religion zu unserer eigenen Emanzipation generell in Frage.
Die Autorin Sarah Nägele hat Internationale Entwicklung und Publizistik an der Universität Wien studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.