Schulden G.m.b.H. – Geschäfte am Existenzminimum.
„Guten Morgen, dürfen wir einen Sprung hereinkommen?“
Das hört man öfter im Laufe des Films. Und zwar immer dann, wenn die Kamera den Gerichtsvollzieher und seine Kollegen auf ihren Terminen begleitet. Es sind heikle Termine, vor allem wenn aufgewühlte Menschen, kleine Kinder oder kläffende Hunde in den Wohnungen sind. Die Gesichter der Betroffenen sieht man nicht, sondern hört nur ihre zum Schutz veränderten Stimmen. Auf Namen verzichtet die Doku gänzlich, auch bei Gerichtsvollziehern, Mitarbeitern der Bezirksgerichte, Inkassanten, Detektiven, Schuldnerberatern oder Auktionären, die zu Wort kommen.
Halb Österreich ist privat verschuldet.
Gleich in der ersten Szene klopft der Gerichtsvollzieher an die Türe einer Hauspartei in einem Wiener Gemeindebau. Weil niemand öffnet und schon mehrere Versuche unternommen wurden den Schuldner anzutreffen, verschafft sich der Exekutor Zutritt mit einem Schlosser. Man hört die Stimme des Gerichtsvollziehers aus dem Inneren der Wohnung, während die Kamera diskret auf der Eingangstüre verharrt: „Vü wird´s ned werdn.“ Von einem Teppich und einer Couchgarnitur, möglicherweise aus Leder, ist die Rede, Pfandgegenstände. 727.386 Verpfändungen gibt es im Gerichtsvollzug pro Jahr. Die Hälfte der Österreicher ist privat verschuldet. 70 Prozent der Gläubiger sind Banken, werden die Fakten eingeblendet. Das lässt erahnen, dass mehrere Berufsgruppen vom Geschäft mit den Schulden leben.
Inkassanten.
Nächster Schauplatz: Inkassobüro. Dort erklärt ein Mitarbeiter, wie wichtig es ist, bereits „Kinder an die Geldwirtschaft des Homo oeconomicus heranzuführen, damit sie den verantwortungsbewussten Umgang mit Geld lernen.“ Denn das Wissen über Geld und wirtschaftliche Zusammenhänge sei in Österreich „katastrophal“. Am besten gelinge das mit einem Anschauungsobjekt Sparschwein, das vier Schlitze und Kammern für „Ausgeben, Sparen, Investieren, Gute Tat“ hat.
„Wir haben nicht die Aufgabe zu schauen, ob eine Forderung zu Recht besteht. Das machen die Gerichte“, so der Mitarbeiter weiter. Denn jede uneingebrachte Forderung bedeute, ein anderer zahlt dafür und Arbeitsplätze gingen verloren. Es sei eine „interessante Geschichte“, dass der Privatkonsum in der Krise am wenigsten nachgelassen habe. „Wir haben eigentlich Glück gehabt, dass es von Seiten der Konsumenten zum Teil ein bisschen eine Realitätsverleugnung gegeben hat. Das hat der Wirtschaft geholfen“, sagt ein Bereichsleiter des Büros. 2010 betrug der Inkasso-Branchenumsatz 234 Millionen Euro.
Schuldnerberatung – vom Kunden zum Verbrecher.
In der Schuldnerberatung sieht man Schuld, Selbstverschulden und die Inkassobranche etwas differenzierter. „Zuerst werden die Menschen als Kunden umworben, mit Ratenzahlung gelockt, und am Schluss stehen sie als zahlungsunfähige Verbrecher da“, sagt der Leiter der Schuldnerberatung. „Dieser perfekt organisierte Wertewandel ärgert mich.“ Inkassobüros und Eintreibungsanwälte von Banken seien nicht daran interessiert, dass Kapital getilgt werde. „Die wollen nur Ratenzahlungen als laufende Einnahmen.“ Ein Schuldner sei ein sehr guter Bankkunde. „Ein Schuldner, der unregelmäßig zahlt, ist der beste Kunde für die Bank. Nur diejenigen, die gar nicht mehr zahlen können, sind dann keine guten Kunden mehr.“
Blaue Böden und alarmierender Tunnelblick.
Die Kamera schweift über die blauen Böden in den Räumlichkeiten der Schuldnerberatung. „54.300 beratene Personen pro Jahr“, blendet sie ein. Diskret linst sie durch die Glastüren der Büros, aus denen die Stimmen der Schuldner*innen und Beratenden dringen. „Wir haben hier bewusst blaue Bodenbeläge, weil die beruhigend wirken und für ein besseres Klima in der Beratung sorgen“, erklärt der Leiter. Viele Betroffene, die hier zum ersten Mal herkommen, seien in einer existenziellen Ausnahmesituation. Manche von ihnen hätten einen Tunnelblick, der bereits von eingeengtem Denken zeuge. Hier brauche es weitere professionelle Hilfe, um Menschen vor einem möglichen Suizid zu bewahren.
In der Beratung sei es wichtig zu erklären, dass Miete und Energiekosten Vorrang vor allen anderen Zahlungen hätten. Denn einige würden aus Angst dem teils groben Druck von Rechtsanwälten und Gläubigern nachgeben und dabei vergessen, dass ohne Dach über dem Kopf alles noch schlimmer werde. 7.600 Delogierungen gibt es in Österreich pro Jahr.
Augenschein Wohnungslosenhilfe.
Kommt es so weit, wird diesen Menschen bei der Wohnungslosenhilfe geholfen: mit der Vermittlung eines Bettes und Aufenthalt zwischen 18:00 und 08:00 Uhr in einer Notschlafstelle sowie einer Postadresse für Behördenbriefe. Die Kamera hält von hinten auf einen Mann, der mit einem Nachziehkoffer die Wohnungslosenhilfe betritt. In zerknirschtem Hochdeutsch sagt er: „Ich habe gerade meine Wohnung verloren.“ Im Empfangsbereich hilft man ihm weiter. Branche: Wohnungslosenhilfe 369 Notbetten in Wien.
Detektive.
Ihr Job ist es, bei der Schuldnersuche behilflich zu sein. Oft werden sie von Banken aber auch der Kirche beauftragt, um zum Beispiel säumige Kirchensteuerzahler*innen aufzuspüren. „Vor allem früher kamen sehr viele Aufträge von der Kirche“, berichtet ein in die Jahre gekommener Wiener Berufsdetektiv. „Tausende Menschen haben damals ihre Kirchensteuer nicht bezahlt und wurden gepfändet. Mir selbst ist das auch passiert.“ Damals habe er 20 Mitarbeiter und drei Sekretärinnen beschäftigt. „Das war ein florierendes Geschäft.“
Pfändung, Konkursverfahren, Versteigerung.
„Höhepunkt einer Schuldnerkarriere ist das Konkursverfahren“, erklärt ein Gerichtsvollzieher. „Bis zum Existenzminimum, derzeit die Mindestsicherung, darf gepfändet werden“, informiert er, der übrigens Erfolgsprämien erhält. Man bekomme in dem Beruf mit der Zeit ein Gespür für die Menschen, ob einer wirklich nichts hat und nicht zahlen kann oder nicht will.
Haustiere würden normalerweise nicht als verwertbare Pfandgegenstände mitgenommen. Außer es handle sich um teure Zuchttiere über 750 Euro.
Auf Auktionen am Bezirksgericht können Interessierte einstiges Hab und Gut anderer günstig ersteigern. Der Schuldner selbst oder Personen, die in einem Nahverhältnis zu ihm stehen, dürften nicht teilnehmen, erklärt ein Mitarbeiter.
Im Abspann erfährt man, wer nicht an der Doku mitwirken wollte: Unmissverständliche Absagebriefe von Banken, Energieversorger, Versandhandel flimmern über die Leinwand.
Schulmeister und Eckert im Gespräch:
Regisseurin Eckert bekennt sofort, sie sei „Nichtökonomin“. Ihre Frage an den Ökonom: „Ist Realitätsverweigerung eine volkswirtschaftliche Kategorie?“
„Nein“, sagt Schulmeister. „In den 60er Jahren gab es die Problematik des Films nicht.“ Sozialpsychologische Probleme würden weniger auftreten, wenn alle einen Arbeitsplatz hätten. Doch die Spielanordnung habe sich seit damals geändert. Statt realer Werte seien Spekulation und Finanzcasino gewachsen.
Ob die schwierigste Phase der Krise bereits überwunden sei, fragt Eckert.
„Der nächste Krisenschub kommt, wenn Pensionen weiter entwertet werden“, meint Schulmeister. Und vielleicht erst dann, wenn die Zahl der Arbeitslosen in Europa von 27 auf 40 Millionen steigt, würden Politik, Chefredakteure und Professoren zu zweifeln anfangen und von der neoliberalen Denke „der Markt hat recht“ abgehen.
„Die Mächtigen geben weiter Durchhalteparolen aus, statt zu verändern.“ Sich von alten Weltanschauungen loszulösen, sei ein Hauptproblem. „Denn schwieriger als Lernen ist das Verlernen“. Ein 60-Jähriger tue sich da viel schwerer als ein Kind, das noch einen leeren Kopf habe.
Wie hoch ist das Durchschnittsalter von Merkel, Schäuble und anderen tonangebenden Politiker*innen in Europa, fragt man sich unwillkürlich nach diesen Schlussworten Schulmeisters.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
Links.
Schulden G.m.b.H.
Top Kino
Schulmeister zu Roosevelts New Deal