Rasse oder nicht Rasse?
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Die Grüne Bildungswerkstatt (GBW) Wien und das Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien luden den Soziologen und Rassismusforscher Wulf D. Hund für zwei Tage nach Wien. Das bis auf den Gang überquellende Konferenzzimmer des Politikwissenschaftlichen Instituts hörte am Abend des 3. Juni 2014 seine Ausführungen unter dem Titel „Vor, mit, nach und ohne ‚Rassen‘ – Für ein neues Paradigma in der Rassismusanalyse“. Am Tag darauf versammelten sich Interessierte im Seminarraum der GBW Wien zum Workshop „Historische Rassismusforschung und antimuslimischer Rassismus“. Beide Veranstaltungen wurden von Fanny Müller-Uri (Rassismusforscherin und freie Trainerin) kommentiert und von Benjamin Opratko (Stipendiat ÖAW am Institut für Politikwissenschaft, Uni Wien) moderiert.
Das manifestierte kulturelle Gedächtnis.Der Workshop sollte sich vor dem Hintergrund des ‚Rassismus ohne Rassen‘-Konzepts auf Fanny Müller-Uris Buch „Antimuslimischer Rassismus“ (erschienen 2014 im Wiener Mandelbaum Verlag) konzentrieren. Zunächst wurde aber festgestellt, dass die alltägliche (nicht nur Wiener) Umwelt mit materiellen, rassistischen und antimuslimischen Manifestationen beladen ist. Nicht nur vom Meinl-Logo bis zur Prinz-Eugen-Statue am Heldenplatz, sondern auch vom kulinarischen Bereich („Mohr im Hemd“) bis in konkrete politische Werbung (Partei-Comics) finden sich Gedankenfiguren, welche Menschen aufgrund ihrer zugeschriebenen Zugehörigkeiten mit minderwertigen oder gar abwertenden Eigenschaften darstellen.
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Sollbruchstellen der Gesellschaft.
Weil der antimuslimische Rassismus ein religiös begründeter ist, fragt Wulf D. Hund zunächst, ob man hier überhaupt von spezifisch Rassistischem sprechen kann. Als Beispiel für diese Problematik führt er die 1348/49 erfolgte Verfolgung und Tötung von jüdischen Menschen in Straßburg an: Handelt es sich hier um eine religiöse oder eine rassistische Verfolgung? Oder können diese zwei Typen gar nicht voneinander getrennt werden? Für eine Workshopteilnehmerin taucht damit die Frage auf, wie zwischen verschiedenen Formen der Diskriminierung unterschieden werden kann: Was würde einen Rassismus beispielsweise von einem Sexismus oder einer religiösen Verfolgung unterscheiden?
Hund meint, dass eine rassistische Haltung die vollwertige Integration von Menschen in eine Gesellschaft nicht zulasse – andere Diskriminierungen, wie beispielsweise der Sexismus, ließen dies zu. Doch auch diese Antwort löst eine Diskussion aus: Was bedeutet eine „vollwertige Eingliederung“? Ein Teilnehmer schlägt vor, die Differenzierung von der Exklusion her zu fassen: der Rassismus verfüge über eine permanente Möglichkeit die Integration des Menschen in der Gesellschaft aufzukündigen. Damit steht aber die Frage im Raum, ob rassistisch ausgeschlossene Menschen nun Teil oder nicht Teil der Gesellschaft sind. Wann bricht ein Sexismus in Rassismus um und wie kommt es dazu?
Dazu muss zunächst die Frage nach dem Rassismus gestellt werden. Wulf D. Hund präsentierte dazu am Tag davor vier Thesen.
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1. Rassismus als ein soziales Verhältnis.
Ins Zentrum seiner „rhapsodischen“ Ausführungen stellt Hund vier Thesen, die er mit problematisierenden Beispielen aus Theoriegeschichte und der gegenwärtigen Rassismusforschung umrahmt. Seine Grundfrage betrifft die Brauchbarkeit des Rassenbegriffs für die kritische Rassismusforschung – die er in der letzten These beantwortet. Aber zunächst zu seiner ersten These. Laut dieser ist der Rassismus ein soziales Verhältnis, welches eine Vergemeinschaftung sogar unterschiedlicher Klassen ermögliche. Denn in dieser Vorstellung stünde noch das ‚niedrigste‘ Mitglied höher als das ‚höchste‘ Mitglied der diskriminierten Gruppe.
2. Rassismus ohne Rasse.
Auch Immanuel Kant, ein Zeitgenosse Adam Smiths, entwickelte rassistische Überlegungen: Nur ‚innerhalb einer Rasse‘ sei eine Fortpflanzung des Menschen wünschenswert. Dies formulierte er ebenfalls vor dem modernen Rassenbegriff. In den Begründungen moderner Rassentheorien finden sich, so Hund, bereits frühere Muster rassistischer Diskriminierung. Damit ist, so seine zweite These, der Rassismus nicht an den Rassenbegriff gebunden, sondern älter. Der Rassismus bediene sich dabei historisch unterschiedlicher Muster der Diskriminierung, welche sich in Dualismen niederschlagen: Reine versus Unreine, Zivilisierte versus Wilde, Weiße versus Farbige, Wertvolle versus Minderwertige, Kultivierte versus Barbaren.
In der Rassismusforschung wurde lange gedacht, dass der Rassismus an den Rassenbegriff gebunden und damit ein relativ junges Phänomen sei. Dagegen geht Hund (hypothetisch) davon aus, dass Rassismus eine Begleiterscheinung von Klassengesellschaft überhaupt sei. In der heutigen Rassismusforschung sei es zwar mittlerweile anerkannt, dass Rassismen auch vor der Moderne auffindbar sind. Allerdings werde in diesen Forschungen häufig mit einem Rassenbegriff moderner Prägung hantiert. Mittels eines solchen Begriffs werde dann in der Vormoderne nach Rassismus-ähnlichen Strukturen gesucht – und selbstverständlich ‚gefunden‘. Beispielsweise sei mit dem griechischen Begriff des xénos nicht nur der böswillige Fremde, sondern auch der Gast gemeint. Mit dem Neologismus der Xenophobie werde diese zweite Dimension aber ausgelöscht.
3. Rasse als soziales Konstrukt.
Hunds dritte These lautet, dass Rassen soziale Konstrukte seien. Damit gingen sie nicht in Ideologien oder Diskursen auf oder ließen sich nicht einfach als Vorurteile entlarven, sondern blieben auch nach einer kritischen Analyse real vorhanden. Beispielsweise habe Karl Marx zwar gesagt, dass kein „Neger“ zum Sklaven geboren werde. Aber das gesellschaftliche Verhältnis, in welchem dieser Mensch zum „Neger“ gemacht werde, hätte Marx nicht begriffen.
4. Rassenbegriff untauglich als kritische Kategorie.
Hund kommt in seiner letzten These zu dem Schluss, dass der Rassenbegriff nicht zur kritischen Rassismusanalyse taugt. Die Verwendung des Begriffs würde die Rassenkategorie enthistorisieren und vielleicht sogar essentialisieren. Im Speziellen zielt er auf den irreführenden ‚racial-turn‘ der critical-whiteness-Forschung. Hier werde die Analyse des Rassismus auf den Rassenbegriff fixiert; und der Rassenbegriff eingeengt auf den Gegensatz von weißen Rassisten und schwarzen Diskriminierten. Um diese Position aufrecht erhalten zu können, werde sogar die Geschichte umgeschrieben – wie Hund an einer Arbeit von Susan Arndt zeigt. Diese hätte in ihrem Buch „Die 101 wichtigsten Fragen: Rassismus“ zur Begründung des Rassismus Aristoteles‘ Politik zitiert. Sie ziehe aus diesem Text einen Schluss, der sich bei Aristoteles aber nicht finde. Denn dieser hätte, so Hund, den Sklaven von der Vernunft und nicht vom Leib her bestimmt. Aristoteles argumentiere also geistig-kulturell und nicht, wie Arndt meint, körperlich-biologisch.
(K)Eine Welt ohne Rassismus?
Doch wie steht es um die Möglichkeit einer rassismusfreien Gesellschaft? Hunds Einschätzung fällt in dieser Hinsicht nicht besonders rosig aus: Laut ihm entstand der ‚Rassismus ohne Rasse‘ aufgrund der Leerstelle des Rassismus, als dieser nicht mehr anerkannt war. Das mag nach einem ursprünglichen und überhistorischen Rassismus klingen, der sich auf verschiedenste Weise manifestiert. Aber solche allgemeinen Schlüsse sind nicht zu ziehen. Denn eine Einsicht des Workshops war es, dass – bei aller notwendigen Rückbindung der Forschung an die Untersuchung von Einzelfällen und trotz der fehlenden Forschungsgelder – die Theoretisierung ein offenes Desiderat und die Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft bleibe.
Der Autor, Andreas Dittrich, studiert Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaften und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.