Protest-Einmaleins: Recht und politischer Aktionismus.

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Am 25. Juni war es wieder so weit: GBW-Vorstand Gerd Valchars begrüßt in der Esterházygasse 21 zum vierten und nunmehr letzten Mal zur Veranstaltungsreihe „Das kleine Protest-Einmaleins“. Nach einer kurzen Rückschau auf die letzten Termine bittet er die Vortragende, Jutta Matysek, sich vorzustellen.
Vielseitige Aktionsassistentin.
Sie arbeite inzwischen seit sieben Jahren als Aktionsassistentin bei Greenpeace, sagt Matysek. Dort trainiere sie unter anderem Aktivist*innen im Rahmen von Non Violent Direct Action-Trainings. „Wir machen Rollenspiele und Aktionssimulationen.“ Wichtig sei ihr auch die juristische Aufklärung der Aktivist*innen. Außerdem klettert die gelernte Reitlehrerin und ehemalige Studentin der Politikwissenschaften für Greenpeace und Global 2000, wenn Aktionen dies erfordern; für Aktivist*innen bietet sie Klettertraining an.Politisch aktiv ist Matysek auch als Obfrau der „Freunde des Augartens“ und der Bürgerinitiative „Rettet die Lobau“. Bei Radio Orange und für Radio Attac hat sie Hörbeiträge gestaltet und außerdem auf Sommerakademien mitgewirkt. Eine vielseitige, erfahrene und lebendige Aktivistin; die Spannung im Publikum steigt.
Anmeldung einer politischen Versammlung.
Zu Beginn des Workshops betont Matysek, sie wünsche sich eine interaktive Veranstaltung. Fragen der Teilnehmenden seien ausdrücklich erwünscht, Unterbrechungen jederzeit erlaubt. Und damit geht es auch schon in medias res: „Was muss ich bei der Anmeldung einer Veranstaltung beachten“, meldet sich eine erste, wissenshungrige Teilnehmerin zu Wort.
Wichtig sei, eine Veranstaltung in Wien, zum Beispiel eine Demo, einen Infostand, Speakers´ Corner oder sonstige Aktionen ab drei Personen immer als „politische Versammlung“ bei der Landespolizeidirektion Wien am Schottenring 7-9 anzumelden. Und nicht etwa als „Veranstaltung“ (zum Beispiel: Kino, Zirkus, Sport-, Tanzveranstaltung, Donauinselfest), denn dafür sei in einem aufwändigeren Verfahren die MA 36 – Veranstaltungswesen nach dem Magistratsgesetz zuständig.
24 Stunden, Fax und Österreicher*in.
Eine politische Versammlung ist nur auf öffentlichem- und nicht auf Privatgrund anmeldbar, so Matysek. Sie müsse spätestens 24 Stunden vor der geplanten Aktion bei der Landespolizeidirektion formlos, aber schriftlich und unterschrieben angemeldet werden. „Ein Fax reicht aus, Antwort braucht keine abgewartet werden, die Anmeldung ist kostenlos“, erklärt Matysek. „Man informiert die Polizei nur, und wenn sie nicht untersagend antwortet, gilt die Versammlung automatisch als angemeldet.“ Anmeldeschreiben, Fax-Übertragungsprotokoll und amtlicher Lichtbildausweis des Anmelders oder der Anmelderin seien auf die Veranstaltung mitzunehmen, da die Polizei vor Ort meist danach fragt. Der oder die Anmelder*in (kann auch eine juristische Person, z. B. ein Verein sein) ist Hauptansprechpartner*in für die Polizei und muss über 18 Jahre alt und österreichische*r Staatsbürger*in sein, so Matysek. Ferner sei eine zweite Kontaktperson als Versammlungsleiter*in anzugeben. „Die Polizei braucht die Namen und Telefonnummern dieser Personen, falls auf der Veranstaltung Probleme oder Fragen auftauchen. Die Kontakte gehören daher ins Anmeldeschreiben.“
Untersagung.
„Was ist, wenn mir die Polizei aus scheinbar fadenscheinigen Gründen meine Versammlung verbietet?“, fragt eine Teilnehmerin. Laut Matysek komme das selten vor, denn: „Das Recht auf Versammlungsfreiheit genießt eine hohe Priorität. Das Right to Freedom of Assembly ist ein Menschen- und Grundrecht.“ Daher habe es auch eine höhere Priorität als etwa flüssiger Verkehr.
Für die Polizei sei primär wichtig, dass es auf der Veranstaltung keine potenziellen Gefahrenquellen gebe. Daher müsse bei jeder Aktion auf freie Zu- und Abgänge als Fluchtwege, Abwesenheit von (möglichen) Waffen und Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit geachtet werden. Sehe die Polizei dies bereits im Vorfeld nicht gewährleistet oder habe die Versammlung einen Zweck, der den Strafgesetzen zuwider laufe, untersagt sie die Versammlung. Auch im Falle eines Staatsbesuchs könne sie eine Versammlung untersagen. „Gegen eine schriftliche Untersagung kann man Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht einlegen“, informiert Matysek.
800 politische Kundgebungen ...
... gibt es laut Matysek im Schnitt pro Jahr in der Innenstadt. Sie rät daher, eine politische Versammlung nicht erst 24 Stunden vor Beginn, sondern möglichst früh, am besten schon mehrere Monate vor der Aktion anzumelden. Bei größeren, verkehrsrelevanten Versammlungen gebe es mitunter Vorbesprechungen in der Landespolizeidirektion. „Da sitzt man meistens mit einem Polizeijurist, Vertretern aus den Bezirkskommissariaten, durch deren Bezirke die Marschroute verläuft, und Mitarbeitern der Wiener Linien zusammen.“ Dabei sei es wichtig, selbstbewusst aufzutreten und den Versammlungszweck explizit zu betonen. „Meistens kann man sich einigen“, sagt Matysek. Fußgängerzonen seien relativ unproblematisch.
Schon in die Anmeldung schreibe man Marschroute oder Kundgebungsort hinein. Ebenso erwartete Teilnehmer*innenzahl, Versammlungszweck, Uhrzeit, geplante Dauer und verwendete Hilfsmittel, etwa: Tapeziertische, Zelte als Witterungsschutz, Tonanlage, Megaphon, Transparente, Flugblätter, PKW, sperrige Gehzeuge und Müllsäcke. „Die Veranstalter müssen darauf achten, dass kein Müll zurück gelassen wird, oder Sachschaden entsteht“.
Ob Pickerl kleben Sachbeschädigung sei, wirft jemand ein. „Ja“, sagt Matysek. Bei Kreidezeichnungen am Asphalt hingegen seien ihr keine Anzeigen bekannt. „Der Regen wäscht das weg.“ Dafür kann es aber für Zettel hinter die Windschutzscheibe klemmen Verwaltungsstrafen geben: „Das ist laut Straßenverkehrsordnung verboten.“
Bezüglich etwaiger Verpflegung von Versammlungsteilnehmenden sei zu beachten: „Essen und Getränke dürfen nur gegen Spenden angeboten werden, nicht gegen Preise.“
Auflösen und Räumung.
„Nicht angemeldete Versammlungen kann die Polizei jederzeit auflösen“, erklärt Matysek. So geschehen bei einer Greenpeace-Aktion, bei der Aktivist*innen den Haupteingang der Erste-Bank am Wiener Graben zumauerten. Mit der Begründung und Durchsage, man sei hier illegal, habe die Polizei die Aktion geräumt. Eine Räumung, fügt Matysek hinzu, sei übrigens für Medien immer spannender als keine. „Wenn man geräumt wird, darf man keinesfalls Widerstand leisten, denn das wäre Widerstand gegen die Staatsgewalt.“ Mögliches Wegtragen lassen solle man nicht ausreizen: „Wegtragen ist Schwerarbeit für die Polizisten und sie werden dabei müde und grantig.“
Ferner könne die Polizei eine Versammlung auch wegen Gefährlichkeit auflösen. Komme es zu Ausschreitungen, müsse der oder die Versammlungsleiter*in durchs Megaphon sagen: „Ich erkläre die Veranstaltung für beendet.“
Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, müssen alle Anwesenden den Versammlungsort sofort verlassen und auseinander gehen.
Wichtiger Tipp von der Expertin: „Zu Aktionen immer auch einen eigenen Fotograf mitbringen.“ Einerseits um die Aktion zu dokumentieren, und andererseits um von strittigen Situationen beweissicheres Bild- oder Filmmaterial zu haben.
Ausweis und Aussageverweigerung.
Es sei immer ratsam, einen amtlichen Lichtbildausweis zu Feststellung der Identität mitzuführen, sagt Matysek, und diesen auf Verlangen der Polizei vorzuweisen. Auch Name und Adresse sollten stets korrekt angegeben werden. „Falls Behörden einen Brief zustellen.“ Nicht vergessen, etwaige Fristen beginnen ab Zustellung zu laufen. Vor Abwesenheit daher auf der Post immer eine „Abwesenheitsmitteilung“ machen.
Nimmt einen die Polizei mit, sei Folgendes zu beachten: Außer Name, Wohnadresse, Geburtsdatum, Geburtsort und Staatsbürgerschaft, solle man keine Angaben machen. „Am besten Ruhe bewahren und höflich sagen: Ich möchte von meinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen.“ Keinesfalls solle man ein Protokoll aufnehmen lassen, irgendetwas unterschreiben oder sich von Drohungen einschüchtern lassen, rät Matysek. Man habe das Recht auf einen gelungenen Anruf, zum Beispiel beim Anwalt, dem man Name, Situation und aktuellen Aufenthaltsort durchgibt.
Gewaltfrei.
Oberstes Gebot von Greenpeace sei übrigens, bei allen Aktionen gewaltfrei zu bleiben. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass gerade dieser gewaltfreie und direkte Kontakt mit den Aktivist*innen ausschlaggebend ist für folgendes Kuriosum: „Nach Berufsgruppen betrachtet spenden Polizisten am häufigsten für Greenpeace.“ Sagt Jutta Matysek und gibt den Teilnehmenden zum Schluss noch wichtige Rechtsinfo- und Rechtshilfe-Links mit auf den Weg.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams, seit 2011 als Chefin vom Dienst.