No - Das Ende der Diktatur in Chile.
René Saavedra erfüllt das Klischee eines Yuppies. Politisch uninteressiert, jung, gut ausgebildet und auf schnelles Geld aus. Als aufsteigender Stern einer großen chilenischen Werbefirma und kindlich verspielter Träumer führt er ein gemütliches Leben. Er hat sich gut arrangiert mit dem neoliberalen System, das nach dem Putsch unter Augusto Pinochet im Jahr 1973 in Chile eingeführt wurde. Dass ausgerechnet ein angepasster Typ wie René Saavedra einen wichtigen Beitrag zum Sturz der brutalen Diktatur in Chile leisten sollte, ist kaum zu glauben. Doch genau diese Begebenheit erzählt uns Regisseur Pablo Larraín in seinem Spielfilm No.
Wie kam es dazu?
1980 wurde unter großem Druck der Diktatur eine neue Verfassung verabschiedet. Sie sollte die Macht des Militärs auf Dauer sichern, das neoliberale Projekt in Stein meißeln und das Regime demokratisch legitimieren. Aus diesem Grund wurde festgeschrieben, dass das Volk nach acht Jahren die Wahl über die Fortführung der Militärregierung haben sollte. In dem Referendum, das 1988 dank großen internationalen Drucks tatsächlich stattfand, konnte die Bevölkerung mit ‚Si‘ für oder mit ‚No‘ gegen das Regime stimmen. Den Vertreter*innen beider Seiten wurde über den Verlauf eines Monats täglich je 15 Minuten Sendezeit gestattet, um ihre Botschaften zu vermitteln.
Hier beginnt die unwahrscheinliche Zusammenarbeit der 16 Oppositionsparteien mit dem Werbeprofi René Saavedra. Anders als die politische Linke will er die Kampagne nicht nutzen, um Bewusstsein für die Gräuel der Diktatur zu schaffen. Er will die Zustimmung der Bevölkerung durch eine klassische Werbekampagne gewinnen und das ‚No‘ als Produkt verkaufen. Neben anfangs starkem Widerspruch aus den eigenen Reihen ist René Saavedra auch mit Konflikten mit seinem Chef und Einschüchterungsversuchen des Regimes konfrontiert. Doch allen Widerständen zum Trotz gelingt es mit der etwas platten Botschaft „Chile: la alegría ya viene“ (Chile: die Freude kommt) und fröhlichen Videoclips tatsächlich, die breite Masse zu mobilisieren und das von vornherein verloren geglaubte Referendum knapp zu gewinnen. Das Happy End mit einem auf seinem Skateboard durch die sonnigen Straßen Santiagos fahrenden Saavedra passt zur Feel Good-Stimmung des Filmes.
Realitäts-Abgleich.

GBW
Geerdet wurde das zahlreich erschienene Publikum durch die an den Film anschließende Diskussion mit Johannes Jäger. Der Ökonom und Entwicklungsforscher ist Lateinamerikaspezialist und Chilekenner. Ihm zufolge war das ‚No‘ des Referendums ein historischer Erfolg und zentral für die Demokratisierung des Landes. Doch das 1973 eingeführte und mit der Verfassung 1980 gefestigte neoliberale System konnte damit nicht erschüttert werden. Heute noch baue die Wirtschaft auf die hohen Einnahmen aus dem Rohstoffsektor, ohne sich für die Zeit nach dem Boom der Rohstoffpreise zu wappnen. Der Sozialstaat wurde quasi abgeschafft. Zentrale Sektoren des Sozialsystems wie etwa Bildung und Pensionen seien in privater Hand. Und auch Pinochets Fall war nicht tief. Er blieb als oberster Befehlshaber des Militärs und als Senator auf Lebenszeit bis zu seinem Tod 2006 sehr einflussreich.
Die kommende Präsidentschaftswahl am 17. November wird laut Johannes Jäger nichts an der aktuellen Situation ändern. Die voraussichtliche Wahlsiegerin Michelle Bachelet, die das Wahlbündnis Nueva Mayoría aus Parteien der Mitte und der Linken anführt, hat ambitionierte Pläne für das Land. Doch diese konnte (oder wollte) sie schon während ihrer ersten Amtszeit von 2006 bis 2010 nicht umsetzen. Solange es ökonomisches Wachstum gibt, wird die wirtschaftliche Elite dem Zwei-Parteien-System Chiles wenig demokratischen Handlungsraum geben, so Jäger.
Mehr Hoffnung setzt der Ökonom und Entwicklungsforscher in die politischen Bewegungen der Bevölkerung. Deren Speerspitze sei die Studierendenbewegung, die mit ihren Protesten gegen das teure und immer schlechter werdende Bildungssystem 2011 internationale Aufmerksamkeit erlangte. Diese Entwicklungen sind laut Jäger der Beleg dafür, dass immer weitere Teile der Bevölkerung den Glauben an das politische System und die Angst vor dem Militär verloren haben und aus Frust über ihre schlechte sozio-ökonomische Lage nach anderen Auswegen suchen.
Doch auch hier bleibt Johannes Jäger Realist: Das herrschende System sei nicht nur politisch und ökonomisch, sondern auch in den Köpfen der Menschen tief verwurzelt. Unter diesen Voraussetzungen könne ein Wandel nur langsam erfolgen.
Der Autor, Manuel Melzer, hat Internationale Entwicklung und Volkswirtschaft studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.