Menschen verbinden(de) Technologien.

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Am 5. September 2014 fand im Wiener Rathaus die Auftaktveranstaltung des Green European Foundation-Projekts „Socioecological Reindustrialisation: Striking the balance of local and global dynamics“ statt. Anna Meroni eröffnete mit ihrer Rede die Veranstaltungsreihe, welche bis Jahresende in sieben Städten Europas fortgesetzt wird. Zuvor wurden exemplarisch zwei gelungene Projekte präsentiert: das Unternehmen „MILCH“ von Cloed Priscilla Baumgartner, die alte Herrenhosen modisch „up-cycled“, und das „Happylab Wien“, welches von Roland Stelzer vorgestellt wurde. Ein Bericht der Nachmittags-Sitzung findet sich hier.
Das Projekt der „Socioecological Reindustrialisation“ zielt – so die Beschreibung von Andreas Novy (Grüne Bildungswerkstatt) und Dirk Holemans (belgische Denkfabrik für sozial-ökologische Veränderung Oikos) – auf die „Bildung einer Wissensallianz europäischer PartnerInnen unterschiedlicher regionaler Hintergründe“. Es gehe um die „Zukunft der Industrie in Europa“ und die diesbezügliche Überwindung der Dichotomie von ‚lokal und global‘ durch einen „Multilevel-Ansatz“. Die Auftaktveranstaltung konzentrierte sich mit dem fragenden Titel „Local & High-Tech?“ auf die Beziehung und Relevanz von einfacher und Spitzen-Technologie.

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MILCH - Neues aus alten Textilien.
Das Up-cycled Fashion-Modelabel von Cloed Priscilla Baumgartner namens MILCH exportiert bereits in fünf europäische Länder. Wichtig sei ihr, dass das Wissen um die Produktion wieder in die Bevölkerung gelange, womit sie auf eine Wertschätzung von Qualität und Design hofft. Die Orte, an denen die Kleidungsstücke hergestellt werden, sind in Wien verstreut. Die Organisation wird durch eine digitale Vernetzung ermöglicht, die – wenn auch über E-Mail-Verteiler relativ simpel – doch sehr funktionstüchtig sei. Baumgartner nennt das eine „virtuelle Textilindustrie“. Das Extra dabei: der mit 433 Adressen bestückte Verteiler hilft nicht nur bei der Organisation von Großaufträgen, sondern dient den Mitgliedern auch bei fachspezifischen Fragen als Forum.
Fablab – Drucken in 3D.
Das Wiener Fablab – was Roman Stelzer mit „Raum zum Sachen machen“ übersetzt – nennt sich Happylab. FabLabs sind Werkstätten, welche mit hochmodernen Maschinen ausgerüstet sind und nach einer kurzen Einführung von Privatpersonen verwendet werden können. Am Computer generierte Modelle können dort beispielsweise mit Hilfe von 3D-Druckern in reale Objekte verwandelt werden. Die Bedienung sei dermaßen einfach, dass Stelzer den Vergleich mit Druckern nicht scheut: so einfach, wie es heutzutage sei, digitale Texte mittels Drucker aufs Blatt Papier zu bringen, so einfach ließen sich auch dreidimensionale Objekte herstellen. Mit dieser Möglichkeit der „Personal Fabrication“ (ein Pendant zum „Personal Computer“) stelle sich die Frage nach der nächsten industriellen Revolution, so Stelzer. Doch er betont, dass die bloße Fabrikation nicht allein im Vordergrund stehe, sondern dass auch der soziale Aspekt eine große Rolle spiele: Einige Projekte würden gerade erst aufgrund des gemeinsamen Raumes entstehen können, in welchem die Mitglieder sich gegenseitig mit ihrem Know-How unterstützen. Auf den möglichen Einwand, dass die Maschinen zu kompliziert seien und damit viele nicht-technikaffine Menschen ausschließe, entgegnet Stelzer, dass gerade ‚alte‘ Werkzeuge einer langen Einführung und Übung bedürfen, während die automatisierten Geräte ein technisch niederschwelliges Angebot darstellten: mit einem 3D-Drucker ließen sich schneller anschaulichere Ergebnisse herstellen als mit klassischen Werkzeugen.
Feeding Milano – Selbstbestimmtes Produzieren.
Für Anna Meroni muss es nicht so schnell gehen. Die unter anderem in der „School of Design“ Lehrende und internationale Koordinatorin des „Design for Social Innovation and Sustainability“-Netzwerks (DESIS) setzt auf Langsamkeit („slowness“). Doch das steht nicht im Gegensatz zur Praxis des Fablab, denn Meroni erklärt, dass sie damit eine Denkweise meint, welche Experimentieren und Fehlermachen zulasse („right to fail“). Meroni gehe es mit ihren Projekten mittlerweile um das Problem, wie man in institutionelle Strukturen komme, um die Gesellschaft effektiver zu verbessern. Unter anderem stellt sie das Projekt „Feeding Milano“ vor. Es zielt darauf ab, für Bauern und Bäuerinnen im Umland von Mailand die notwendige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, damit diese ihre Produkte unter Umgehung großer Konzerne direkt an die Konsument*innen in Mailand verkaufen können. Neben den ‚eingesparten‘ Kilometern würden die Teilnehmer*innen aber auch wieder einen Überblick über die Produktionskette bekommen und damit (in gewissem Rahmen) Kontrolle über Produktion, Distribution und Konsumption. Durch diese Vernetzung der Menschen können diese eine über sie herrschende Situation umdrehen und wieder Selbstbestimmung erlangen.

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Ruperta Lichtenecker (Wirtschaftspolitische Sprecherin der österreichischen Grünen) betont in ihrem abschließenden Vortrag den Ansatz des „connecting people“ und fordert die Verbreitung des Internets im ländlichen Bereich. Weiters stellt sie die Frage nach den notwendigen Grenzen gesetzgebender Mächte: Müsse, so fragt sie, die EU den Stromverbrauch von Staubsaugern gesetzlich vorschreiben? Wie weit dürften politische Institutionen steuerliche Kontrollmechanismen einsetzen? Lichtenecker plädiert schließlich für ein kritisches Denken, welches beispielsweise danach fragt, mit welchen Indikatoren die Zufriedenheit der Bevölkerung gemessen werden könne, oder wo der Abfall von 3D-Druckern landen würde.
Links
Novy, Andreas/Holemans, Dirk: Sozialökologische Reindustrialisierung – zwischen lokalen und globalen Dynamiken
Grüne Industrien für Europa
MILCH
Happylab
DESIS
Der Autor, Andreas Dittrich, studiert Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaften und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.