Langfristig engagierte Aktivist*innen? Ja bitte – aber wie?
GBW
Der große Saal des Grünen Hauses Wien im siebten Bezirk wurde am 28. und 29. November für die Teilnehmer*innen des Workshops „Ehrenamtliche politische Aktivist*innen gewinnen und halten“ zu einem Ort des Diskutierens, Skizzierens, Tanzens und Lernens. Die Veranstaltung moderierten Alexandra Strickner (Attac Österreich) und Philipp Sonderegger (Community Organizer). Mit fachlichen Inputs und der richtigen Dosis an Spiel und Spaß führten die beiden die Gruppe durch das zweitägige Programm.
Erfahrungen teilen und Neues entwickeln.
Als Anlass für den Workshop nennen Strickner und Sonderegger ihre Erfahrungen aus einem internen Organisationsentwicklungsprozess bei Attac zum Thema „Andocken, mitmachen und aktiv bleiben“. Das dabei gesammelte Wissen über die Eingliederung von Aktivist*innen in politische Gruppen soll nun im Rahmen des Workshops vermittelt werden. Ziel sei es, ein besseres Verständnis für die Logik von Gruppen, Netzwerken und Organisationen zu erhalten und ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie leicht Menschen bei der eigenen Gruppe andocken können. Die Empfehlungen von Attac sollen als Inspirationsquelle für Prozesse in der Bezirksorganisation dienen, betonen die beiden.
Wachstum als Herausforderung.
Der Workshop startet mit einer Aufstellungsübung. Die Teilnehmer*innen positionieren sich entsprechend einiger Charakteristika ihrer politischen Gruppen, wie deren Größe oder der Anzahl langjähriger Mitglieder, im Raum. Die Frage „Ist es leicht oder schwer, in eurer Gruppe anzudocken?“, entfacht eine erste Diskussion zum Umgang mit Neuzugängen. Eine Person betont, dass der Wunsch als Bezirksorganisation zu wachsen groß sei. Die Tatsache, dass Aktivist*innen sich meist schnell wieder umorientieren, mache diesen Prozess aber auch sehr mühsam. Deshalb sei es sehr schwierig Verantwortung verlässlich abzugeben und Arbeit langfristig aufzuteilen, äußert eine Teilnehmerin. In vielen Gruppen zeige sich ein Widerspruch bei der Tendenz sich nach innen zu schließen, wenn es gut läuft. Die Abwanderung von Mitgliedern führe hingegen zur Öffnung. Dies zu reflektieren sei wichtig, so Strickner.
Die Logiken von Organisationen, Netzwerken und Gruppen.
In einem ersten Input referiert Sonderegger über die Logiken von Organisationen, Netzwerken und Gruppen und meint damit den Umgang mit Mitgliedern, Hierarchien und deren Struktur. „Wir haben bei Attac gemerkt, wenn das Verständnis über die verschiedenen Logiken in der Gruppe zunimmt, dann lässt sich auch besser begreifen, mit welchen Erwartungshaltungen Aktivist*innen an Gruppen herantreten“, betont er. Die Ansprüche neuer Personen könnten so besser verstanden und das Andocken erleichtert werden. Auf den Vortrag folgen Wortmeldungen und eine Diskussion. „Wie seht ihr die Grünen in Wien?“ fragt Strickner in die Runde. Der Großteil der Anwesenden sieht diese als Gruppen mit Tendenzen zu formalisierter Organisation. Dies sei in Wien beispielsweise am Corporate Design für Broschüren erkennbar. Dieses würde zunehmend vereinheitlicht werden. Bezirksorganisationen haben eindeutig definierte Gremien und Statuten, äußert eine Person. Eine Teilnehmerin betont hingegen deren basisdemokratischen Charakter. Ihre Tätigkeit assoziiert sie mit Freizeit und kreativem Engagement, im Gegensatz zum Leistungsdenken formalisierter Organisationen. „Der Mensch steht da im Mittelpunkt und nicht die Position in einer Organisation“, beschreibt sie.
Wie sind wir eigentlich? – Selbstreflexion der eigenen Gruppe.
Nach einem schmackhaften Frühstück schaltet Sonderegger am Samstag die Musik ein und lädt zu einer spontanen Sirtaki Tanzeinlage. „Um die Birne zu lüften“, scherzt Strickner. Der Schwerpunkt liegt an Tag zwei auf praktischen Tipps und Gruppenarbeiten zum erfolgreichen Andocken an die Bezirksorganisationen. In Kleingruppen tauschen die Teilnehmer*innen sich darüber aus, was ihre Bezirksorganisationen attraktiv macht und welche Rolle Geselligkeit spielt. Eine Person betont die steigende Attraktivität für junge Leute. „Die Menschen bringen viel Wissen zu ganz breit gefächerten politischen und gesellschaftlichen Themen mit ein“, meint ein Teilnehmer. „Einmal in der Bezirksorganisation drin, wird einem viel Vertrauen für mehr Verantwortung entgegengebracht“, äußert eine weitere Person. Einige betonen, manche Neuzugänge würden fälschlicherweise annehmen, dass nur mitmachen kann, wer bereits politisches Wissen und Kompetenzen mitbringt.
Andockwege zeichnen.
Bei der Abgabe ihrer Empfehlungen betonen Strickner und Sonderegger die Notwendigkeit klare Andockwege zu zeichnen. Etwa indem Leute für spezielle Aufgaben gesucht werden. Neue Leute würden gerne wissen, was geboten wird, beschreibt Strickner. Dies löst Bedenken in der Runde aus. „Ich habe als Partei immer so ein bisschen das Problem nach außen hin zu kommunizieren, dass wir jemanden suchen, weil das ja gegenüber den anderen [politischen Parteien] als Schwäche interpretiert wird“, äußert eine Person. Es besteht Einigkeit darüber, dass die Konkurrenz politischer Parteien eine Herausforderung für die Bezirksorganisationen darstellt. Potenziale sehen die Teilnehmer*innen bei der Empfehlung zur Identifizierung passender Orte und Phasen des Andockens. Viele teilen die Ansicht, dass es mehr Events im Sommer braucht, um die Leute während der schönen Jahreszeit für die Bezirksorganisationen zu gewinnen. Man einigte sich auch, dass Neuzugänge ebenso einen Aufwand für bestehende Gruppen darstellen. Wie das Buddysystem bei Attac, seien die Mentor*innen der Bezirksorganisationen jedoch ein gelungenes Beispiel für die Gestaltung der Transformationsphase in Gruppen bei Neuzugängen, betont Sonderegger.
Die Stimmung in der Abschlussrunde ist positiv. Es entsteht der Eindruck, dass die Teilnehmer*innen die Runde nicht nur der guten Verpflegung wegen gestärkt verlassen. Spürbar ist eine Menge Tatendrang für die Gestaltung neuer Prozesse zur Mitgliedergewinnung in der eigenen Bezirksorganisation. Da verwundert es nicht, dass die letzte Wortmeldung von vielen der Anwesenden in Frageform kommt und in etwa so klingt: Wann machen wir das wieder und dürfen noch mehr von uns kommen?
Die Autorin, Meike Siegner, hat Sozioökonomie an der WU Wien studiert und ist Mitglied im Redaktionsteam der Grünen Bildungswerkstatt Wien.
Ein Artikel von Philipp Sonderegger zur Thematik des Workshops findet sich hier.