Kurswechsel vs. Revolution für ein gutes Leben. Oder beides?
Das breite Meinungsbild der Veranstaltung von Arbeiterkammer, Grüner Bildungswerkstatt, Wege aus der Krise, dem Mattersburger Kreis, BEIGEWUM, Attac und Katholischer ArbeiternehmerInnenbewegung Österreichs zeigt sich bereits in den Eröffnungsstatements. Während Barbara Blaha (Momentum-Kongress & freie Autorin) und Maxime Combes (ATTAC France) mehr oder weniger die bestehenden Verhältnisse kritisieren, weist Martin Allespach (IG-Metall) auf bereits gewonnene Kämpfe hin. Dies liegt wahrscheinlich weniger an den unterschiedlichen geographischen Blickwinkeln (Österreich, Frankreich, Deutschland), greift die Diskussion doch einen alten Diskurs der europäischen Linken auf: Reform oder Revolution? Welche Strategie führt zu einem besseren Leben für alle?
Was IST gutes Leben?
Diese wichtige Frage stellt Moderator Robert Misik am Beginn der Podiumsdiskussion. In einer pluralistischen Gesellschaft sei es schwer, diese Frage zu beantworten. Auch wenn es Kriterien gebe, wie die Freiheit von Angst und Beruf, sei es schwierig das Konzept des guten Lebens zu definieren. Barbara Blaha spricht in ihrer mitreißenden Keynote sowohl über globale Ungleichheiten als auch über illusorische Hoffnungen an den Kapitalismus. Ihre Kritik am Glauben, dass Wohlstand und Wachstum untrennbar seien, verbindet sie mit den aktuellen Ereignissen in Südeuropa. Dort würden Länder als kapitalistische „Labors“ missbraucht, indem ausgelotet werde, wie stark sich Demokratie zurückdrängen lässt. Die Europäischen Linken und Grünen hätten aber auch keine bessere Lösungsstrategie. Die Gesellschaft müsse die wirtschaftliche Macht von wenigen Zentren zurückerobern. Deshalb appelliert sie an die Anwesenden, diese vermeintliche Alternativlosigkeit aufzudecken – dies sei schließlich die Aufgabe der Intellektuellen. Der Kapitalismus sei sehr wandelbar und überwinde sich nicht von selbst.
Gibt es den gerechten Kapitalismus?
„Ja“, meint Martin Allespach zu dieser Frage. Die Demokratisierung von Unternehmen wie VW und der Kampf der Gewerkschaften und der Arbeitenden hätten zu vielen Verbesserungen geführt. Kapitalismus und Gemeinwohl seien möglich, wie die Energiewende in Deutschland oder der Kündigungsschutz zeigten. Sein Fazit: Viele kleine Schritte führen zum Weg. „Aber in den letzten Jahren gab es viele Schritte nach hinten“, hakt Robert Misik nach. Dies sei zwar teilweise richtig, so Allespach, aber es gebe gerade deshalb wieder vermehrt ideologische Debatten in den Gewerkschaften. Auch diese neu aufgeflammten Diskussionen können als kleine Schritte gesehen werden.
Wo bleibt die viel beschworene Revolution?
„Die Mehrheit kämpft selbst dann nicht, wenn es brodelt“, hatte Blaha bereits eingangs festgestellt. Robert Misik möchte deshalb von Maxime Combes wissen, warum sich die von der Krise Betroffenen nicht heftiger dagegen wehren. Combes stellt zunächst die globale Perspektive in den Mittelpunkt. Wir hätten bisher Risiken geschaffen, die wir nicht mehr ignorieren können. Es gebe absolut kein Kräftegleichgewicht zwischen den Eliten und der Mehrheit. Lange können wir diesen Zustand nicht mehr aufrecht erhalten – allein aus ökologischen Gründen. „Diese Politik wird an ökologische Grenzen stoßen. Es geht nicht nur um ein gutes Leben in Europa, sondern wie eine Gleichheit auf dem ganzen Planeten gesichert werden kann“, so Combes. Sein Vorschlag für eine Wiederherstellung des Kräftegleichgewichts sei eine Abbruchpolitik, ein Bruch mit den aktuellen Verhältnissen. Das französische politische System sei ein Beispiel für seine Überzeugungen: Im Grunde sei es egal, welche politische Partei man wähle, weil alle dem Kapitalismus unterworfen seien. Deshalb müssten die Intellektuellen alternativen Wirtschaftsformen zur Realisierung verhelfen.
Prosciutto-Taktik.
Blaha nimmt die auseinandergehenden Meinungen der männlichen Diskutanten als Ausgangspunkt für ihren Vorschlag, die so genannte Prosciutto-Taktik. Dies sei eine Metapher für eine Politik der kleinen Scheibchen, die gemeinsam mit Utopien und Visionen einhergehen müsse. Man dürfe sich nicht auf kleinen Erfolgen ausruhen, auch wenn das einfacher sei. Wir müssten Visionen aussprechen und debattieren, ohne den Praxisbezug zu verlieren. Auch Martin Allespach kann dieser Idee etwas abgewinnen und ergänzt sein vorheriges Statement: Kleine Schritte bedingen große und umgekehrt. Der Versuch, einen Kompromiss zu finden, kommt bei Combes jedoch nicht gut an. Man müsse wissen, wo man steht. Sei es unsere Strategie, nur von der EU ein bisschen bessere Demokratie zu verlangen oder gehe es um eine Strategie des Bruches mit der aktuellen Politik? „Sind wir dazu bereit, oder haben wir Angst vor einer Krise, die im Grunde schon da ist?“ Combes wolle nicht, dass Peugeot verschwinde. Es solle nur Straßenbahnen statt Autos produzieren.
Viele der Zuschauer*innen bestätigen die unterschiedlichen Sichtweisen. Früher habe sie immer gedacht, man müsse radikal denken und realistisch handeln. Heute denke sie umgekehrt, so eine Frau aus dem Publikum. „Dieser Abend bietet zwar eine gute Analyse der aktuellen Situation“, so eine weitere kritische Wortmeldung, „das System kann er aber auch nicht umwerfen!“ In Wirklichkeit seien wir alle vom System verschluckt und machten es uns auf unseren Podien gemütlich. Ein Leben mit weniger Stress sei eher eine umsetzbare Strategie hin zu einem besseren Leben.
Die Autorin, Nadine Mittempergher, arbeitet im Paulo Freire Zentrum, studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement auf der BOKU und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
Teil 1: Keynote von Barbara Blaha
Teil 2: Podiumsdiskussion