Ist der Wohlfahrtsstaat am Ende?
Das Bismarck´sche Sozialversicherungssystem – eine pragmatische Erfindung des 19. Jahrhunderts.
Die Anfänge des deutschen und österreichischen Sozialversicherungssystems verortet Fink im ausgehenden 19. Jahrhundert: Mit der Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung für die Erwerbsbevölkerung bekämpfte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) die sich verschärfende ´soziale Frage´. Strategisch richtete sich diese Maßnahme vor allem gegen die revolutionären Tendenzen von Arbeiterbewegungen und galt somit dem Machterhalt. Demnach wurden systemstabilisierende Weichen für den Kapitalismus gestellt, die laut Karl Marx die Verelendung der Massen und somit die Revolution aufschieben.
Prinzip Sozialstaatlichkeit.
Fink betont, dass es schwierig sei, bereits wohlhabende Staaten wie die USA vom Nutzen der Sozialstaatlichkeit zu überzeugen. So habe auch die Schweiz erst in den 1970er Jahren eine Sozialversicherung eingeführt, nachdem diese jahrzehntelang in Volksabstimmungen abgelehnt wurde. Plass gibt sich überzeugt, dass unterschiedliche sozialstaatliche Niveaus eher unterschiedliche Mentalitäten als den politischen Einfluss von Eliten offenbaren. Für Fink nahm unser Wohlfahrtsstaat mit einer konkreten Idee seinen Anfang, welche durch politische Entscheidungen weiterentwickelt wurde. Mentalität als Vorstellung über sozialstaatliche Normen bilde sich dann im Zeitverlauf heraus.
Herausforderungen für den Wohlfahrtsstaat.
Generelle Herausforderungen beschreibt Fink im Zusammenhang mit dem rückläufigen Wirtschaftswachstum, das den Spielraum für Verteilung verkleinere. Er gibt zu bedenken: „Wenn wir beschließen, nicht mehr wachsen zu dürfen, dann müssten wir mehr umverteilen.“ Neben Grenzen des zunehmend sich im Dienstleistungssektor ereignenden Wachstums lasse sich – unabhängig von der Wirtschaftskrise – eine steigende Arbeitslosigkeit beobachten. Dadurch sinken die Einnahmen und erhöhen sich die Kosten des Sozialstaates. Die Überalterung der Gesellschaft werde erst in 15 bis 20 Jahren zu Buche schlagen. In diesem Zusammenhang wird das Argument eines Teilnehmers bestätigt: Es gäbe auch künftig kein Demografie-Problem, wenn das Wachstum der gesamten volkswirtschaftlichen Leistung zur Finanzierung des Sozialstaates herangezogen würde. In dieselbe Kerbe schlagend fordert Plass, dass der Sozialstaat durch Abgaben auf alle Arten von Einkommen bezahlt werden sollte und nicht nur auf Erwerbsarbeit. Herausforderungen, die auf den verschärften globalen Standortwettbewerb zurückgeführt werden, relativiert Fink: Der sich abzeichnende Niedriglohn- und ´Steuerwettbewerb nach unten´ sei keine Notwendigkeit, wenn Standorte andere Wettbewerbsvorteile wie etwa Humankapital und ausreichende Investitionen in Forschung und Entwicklung zu bieten hätten. So würden etwa die skandinavischen Länder im europäischen Vergleich sowohl über die höchsten Direktinvestitionen als auch über die höchsten Abgabenquoten verfügen.
Reformdebatte über das österreichische Pensionssystem.
Neben kontraproduktiven Aspekten wie der vorzeitigen Alterspension beschreibt Fink die generell hohe Mittelbindung und -verteilung im österreichischen Pensionssystem als problematisch: Viele erreichen die relativ hohe Höchstpension. Überdurchschnittlich hoch ist aber auch die Ungleichheit der Einkommen im Alter: Vor allem viele ältere Frauen sind armutsgefährdet. Die hohe Spannbreite zwischen Mindest- und Höchstpensionen zeugt von einer schlechten Verteilungswirkung dieses relativ teuren Systems. Verantwortlich hierfür ist die starke Verankerung des Äquivalenz-Prinzips, welches die Höhe der Leistungen von der Dauer und Höhe der Beitragszahlungen abhängig macht. Die damit verfolgte ´Lebensstandardsicherung´ entspricht dem Leistungsprinzip der Privatversicherung und widerspricht somit dem Solidaritätsgedanken. Dieser gesamtgesellschaftlich unumstrittene Leitgedanke des ´sozialstaatlichen Leistungsprinzips´ erscheint nicht zuletzt deshalb fragwürdig, weil der Sozialstaat ja eigentlich die durch das kapitalistische System verursachten Ungleichheiten abmildern und nicht fortschreiben soll. Fink gibt sich überzeugt: Um das Solidaritätsprinzip zu stärken, gelte es insgesamt eine breit angelegte Debatte über die Verteilung von Einkommen und Erwerbsarbeit zu führen.
Europäische Sozialunion?
Fink dämpft schließlich die Erwartungen im Hinblick auf eine absehbare gesamteuropäische Sozialstaatlichkeit. Er gibt zu bedenken, dass sich einige EU-Erweiterungsländer im Zuge des Wachstumspaktes selbst zu 10 bis 20 Prozent Kürzungen bei Sozialleistungen verpflichteten. Warum einigen sich nun politische Entscheidungsträger*innen nicht auf eine künftige Sozialunion? Fink skizziert folgendes Dilemma: Sozialdemokratische Regierungen versuchen mit nationaler Sozialpolitik Wahlen zu gewinnen und hätten daher kein Interesse, die sozialpolitische Kompetenz an die europäische Ebene abzugeben. Liberale und konservative Regierungen wollen die sozialpolitische Kompetenz schon seit jeher auf der nationalen Ebene belassen. So könne die EU-Binnenmarkt- und Währungspolitik den nationalen Sozialstaat in die Schranken weisen. Andere progressive Kräfte waren bisher nicht wahrnehmbar. Fink lässt abschließend durchblicken, dass sich angesichts neuer globaler sozialer Bewegungen seine ´Hoffnung auf die Zivilgesellschaft´ in Grenzen hält. Vielmehr sei es Aufgabe der Politik, den Wähler*innen ein Angebot zu machen.
Die Autorin Gerhild Schutti studierte Politikwissenschaft, Volkswirtschaft und Philosophie.