Gemeinsam weniger für die Zukunft arbeiten.

Anna Schopf
Die Alternativen, Grünen und Unabhängigen GewerkschafterInnen (AUGE-UG) und der Grüne Parlamentsklub luden am Montag, 18. Mai 2015 zur halbtägigen Enquete „Weniger ist mehr! Arbeitszeitverkürzung – Ein Modell für die Zukunft?" ins Parlament. Für das Podium geladen waren nicht weniger als 13 Gäste aus Wissenschaft, Politik und unternehmerischer Praxis. Das Publikum ließ sich vom dichten Arbeitsprogramm nicht abschrecken, der prunkvolle Saal mit rund 100 Plätzen war bestens gefüllt. Die Grüne Arbeitnehmer*innensprecherin Birgit Schatz, die Bundessprecherin der AUGE-UG Klaudia Paiha und die Klubobfrau der Grünen Eva Glawischnig begrüßten die Hörer*innenschaft und führten sie in das Thema ein. Bettina Haller gab eine lebhafte Moderatorin.
Ökonomie der Arbeitszeitverkürzung.
Den thematischen Auftakt besorgte Heinz-Josef Bontrup, Ökonomieprofessor an der Westfälischen Hochschule und Mitverfasser des streitbaren „Manifests zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit“ (siehe Links). Auch im Parlament weiß der Ökonom zu provozieren. Die Industrieländer würden ohne massive Arbeitszeitverkürzung nicht mehr aus der Beschäftigungskrise kommen, „wer das nicht sieht, ist dumm.“ Auch die bessere Integration von Frauen am Arbeitsmarkt sei anders nicht zu haben. Seit langem fordert er deshalb: 30 Stunden Wochenarbeitszeit – bei vollem Lohn- und Personalausgleich, wohlgemerkt. Dass sich das kostentechnisch nicht ausgeht, wischt der Sprecher der sogenannten Memorandum-Gruppe (siehe Links) vom Tisch: „So einen Unsinn akzeptiere ich nicht!“ Warum? In einer Volkswirtschaft gebe es exakt zwei Finanzierungsmöglichkeiten: Preise und Produktivität. Das jährliche Produktivitätswachstum stehe als verteilungsneutraler Verhandlungsspielraum zur Verfügung. Sofern es nicht von Unternehmensseite einkassiert wird, können daraus höhere Löhne oder niedrigere Arbeitszeiten bezahlt werden – ganz ohne Umverteilung.
Einzig die Kritik, dass sich die Arbeitnehmer*innen damit die Arbeitszeitverkürzung selbst bezahlen, lässt Bontrup gelten. „Ja, das ist so!“ Aber ihm gehe es nicht um einzelne Beschäftigte, sondern um die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit. Nur so würde dem Kapital das entscheidende Disziplinierungsinstrument aus der Hand genommen und der neoliberalen Umverteilung von unten nach oben Einhalt geboten.
Christine Mayrhuber (WIFO) ergänzt den Vortrag um österreichische Daten zum Thema, die hiesige Überstundenkultur und All-In-Auswüchse, pflichtet Bontrup aber bei: Arbeitszeitverkürzung sei eine notwendige Maßnahme gegen Arbeitslosigkeit – der Erfolg hänge jedoch von konkreter Ausgestaltung und Kontext ab.

Anna Schopf
Arbeitsperspektiven: gesund, fair, nachhaltig.
Nachdem das „Team Ökonomie“ seinen Beitrag geleistet hat, bittet Bettina Haller der Reihe nach alle geladenen Expert*innen auf die Bühne. Sie sollen das Thema Arbeitszeit/-verkürzung aus verschiedensten Richtungen beleuchten.
Der Soziologe Jörg Flecker weist auf den Wandel der Erwerbsarbeit an sich hin, etwa das Verschwimmen zwischen Arbeit und Freizeit in manchen Branchen sowie die Ausbreitung und -weitung flexibilisierter und atypischer Arbeitsverhältnisse generell. Arbeitsmediziner und Unternehmensberater Rudolf Karazman betont den Faktor Gesundheit. Durch den Anstieg an Krankenständen und gesundheitsbedingten Frühpensionen erleben wir de facto bereits eine Form der Arbeitszeitverkürzung – und zwar „die teuerste überhaupt!“ Derzeit seien wir von einer human-ökologisch optimalen Arbeitszeit weit entfernt, viele Gesetze basieren sogar auf einem langfristigen „Gesundheits-Verschleiß“. Die Sozialwissenschaftlerin Claudia Sorger bringt die Gender-Dimension ein und thematisiert die vielschichtigen Nachteile der – großteils weiblichen – Teilzeitbeschäftigung: Ausschluss von betrieblicher Weiterbildung, Überstundenpauschalen und Führungspositionen. Zusätzlich werde die „häusliche Sisyphusarbeit“ nach wie vor hauptsächlich von Frauen besorgt, was in der allgemeinen und gewerkschaftlichen Debatte um Arbeitszeitpolitik meist aber ausgeblendet bleibe. Beate Littig (IHS) verknüpft schließlich das Thema mit dem Nachhaltigkeits-Diskurs. Darin spiele Arbeit erstaunlicherweise eine untergeordnete Rolle. Dabei sei sie eine essentielle, „vermittelnde Kategorie“ zwischen Natur und Gesellschaft und überdies zentral für die Struktur unseres modernen Zusammenlebens. Leider sei die Datenlage in puncto ökologische Effekte von Arbeitszeitverkürzungen unzulänglich – mehr Freizeit könne theoretisch auch zu mehr Flugreisen führen. Damit dies nicht passiert, sei ein regelrechter „Kulturwandel“ vonnöten.

Anna Schopf
Zum Abschluss: ein Blick in die Praxis.
Nach dem dichten Vormittagsprogramm und einer hochverdienten Mittagspause erfolgt am Nachmittag ein Schwenk in die Praxis. Neben den bereits erwähnten Gästen und Gastgeberinnen bittet Moderatorin Haller den Geschäftsführer der „Grünen Erde“, Kuno Haas, Gewerkschaftssekretär Bernhard Achitz, Josef Muchitsch (SPÖ) und Gabriele Tamandl (ÖVP) für zwei Diskussionsrunden auf die Bühne. Bei Haas wird durchschnittlich 27,5 Wochenstunden gearbeitet. Als Resultat liege man bei den Krankenständen fünf Tage unter dem Schnitt (von rund elf Tagen pro Jahr). Dass wir innerhalb der nächsten fünf Jahre alle massiv weniger arbeiten, sieht Tamandl jedoch trotzdem nicht – zu unterschiedlich seien die Branchen. Muchitsch baut auf Lösungen im „Gesamtpaket“. Wo sich alle politischen Vertreter*innen einig sind: Der erste Schritt in die richtige Richtung sei die Abschaffung oder wenigstens massive Eingrenzung von All-In-Verträgen.
Dass das Thema Arbeitszeit komplex, vielschichtig und höchst zukunftsrelevant ist, war wohl außer Frage. Eines hat dieser halbtägige Theorie-Praxis-Dialog jedoch deutlich vor Augen geführt: Es ist noch viel Arbeit nötig, um weniger arbeiten zu können.
Der Autor, Michael Schwendinger, hat Internationale Entwicklung und Volkswirtschaft studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.